Beitrag zur Reform der beruflichen Vorsorge
Für den Schweizerischen Versicherungsverband SVV ist die Reform der beruflichen Vorsorge zwingend und dringend.
Weder die Inflation noch die allgemeine konjunkturelle Entwicklung lösen das Problem des zu hohen BVGUmwandlungssatzes.
Mit den Beschlüssen des Nationalrates aus der Wintersession 2021 und denjenigen des Ständerates aus der Wintersession
2022 liegen alle Elemente für einen guten Kompromiss auf dem Tisch. Die Renten der beruflichen Vorsorge sind seit längerem unter Druck. Grund dafür sind die steigende Lebenserwartung und die anhaltend schwierige Lage auf den Kapitalmärkten mit sehr tiefen oder sogar negativen Zinsen. Nach ihrer Beratung in National- und Ständerat befindet sich die BVG-Reform in der Differenzbereinigung. Nachfolgend sind die wichtigsten Aspekte der Reform aus Sicht der Schweizer Versicherungswirtschaft aufgelistet.
1. Senkung des Mindestumwandlungssatzes auf 6,0 Prozent
Der SVV begrüsst die Senkung des Mindestumwandlungssatzes gemäss BVG auf 6,0 Prozent in einem einzigen Schritt als zwingende Massnahme hin zur finanziellen Stabilisierung der beruflichen Vorsorge.
Konkret: Während der Erwerbstätigkeit zahlen die Arbeitnehmenden und ihre Arbeitgebenden Beiträge in die Pensionskasse ein. Der Grossteil davon sind Sparbeiträge, die in Form von Altersgutschriften dem persönlichen Altersguthaben gutgeschrieben werden, das zudem verzinst wird. Bei der Pensionierung wird das vorhandene Altersguthaben in eine lebenslängliche Altersrente (inkl. Anspruch auf Hinterlassenenrenten) umgewandelt oder in Kapitalform ausbezahlt. Der Umwandlungssatz bestimmt die Umwandlung des angesparten Altersguthabens in eine lebenslängliche Altersrente. Er beträgt derzeit im Rahmen der obligatorischen Vorsorge gemäss BVG 6,8 Prozent für einen 65-jährigen Mann beziehungsweise eine 64-jährige Frau. Dies bedeutet, dass ein Altersguthaben von 100'000 Franken zu einer jährlichen Altersrente von 6'800 Franken (also 6,8 Prozent von 100'000 Franken) führt. Der Satz von 6,8 Prozent ist deutlich zu hoch; der korrekte Wert, damit das angesparte Kapital bis ans Lebensende ausreicht, liegt gemäss Experten in der Grössenordnung von 5 Prozent. Im Rahmen des BVG muss deshalb heutzutage das Altersguthaben für jeden Neurentner um über einen Drittel aufgestockt werden. Pro 100'000 Franken Altersguthaben müssen somit mindestens 33'300 Franken zusätzlich bereitgestellt werden, um die Altersrente von 6'800 Franken zu finanzieren. Die offensichtlichste Erklärung dafür: Wer im Jahr 1985 ins Rentenalter gekommen ist, lebte durchschnittlich noch 18 Jahre. In der Schweiz lebende Personen, die dieses Jahr 65 Jahre alt werden, dürfen sich im Durchschnitt noch auf 23 weitere Lebensjahre freuen (Quelle: Bundesamt für Statistik). Das heisst, dass das Geld, das jeder Arbeitnehmende für sich in der zweiten Säule anspart, fünf Jahre länger reichen muss. Deshalb müsste die Rente eigentlich sinken. Das will in der Schweiz jedoch niemand. Mit weiteren Reformmassnahmen soll deshalb das aktuelle Rentenniveau gehalten werden.
2. Beitrag zur Finanzierung der Rentenumwandlungsgarantie
Da der Umwandlungssatz von 6,0 Prozent auch nach der Reform noch immer deutlich über dem der Realität entsprechenden Satz von rund 5 Prozent liegt, braucht es aus Sicht des SVV einen «Beitrag zur Finanzierung der Rentenumwandlungsgarantie». Dieser ermöglicht es, die Rentenumwandlungsverluste transparent zu finanzieren.
Konkret: Bei einem BVG-Umwandlungssatz von 6,0 Prozent muss das Altersguthaben bei der Umwandlung in eine Rente nach wie vor aufgestockt werden. Zwar nicht mehr um mindestens einen Drittel, sondern «nur» noch um rund einen Fünftel (siehe obige Erläuterung). Zwecks transparenter Finanzierung dieser Aufstockung ist zwingend ein entsprechender Beitrag, das heisst der «Beitrag zur Finanzierung der Rentenumwandlungsgarantie», erforderlich.
3. Reduktion des Koordinationsabzugs
Der SVV schlägt vor, dass der Koordinationsabzug gegenüber bisher reduziert wird. Damit wird das Leistungsniveau gemäss BVG bei voller Beitragsdauer für tiefe und mittlere Einkommen (und damit insbesondere für Teilzeitbeschäftigte) verbessert.
Konkret: Die Schweiz baut bei der Altersvorsorge auf das Dreisäulensystem. Dabei dient die erste Säule (AHV) der Existenzsicherung. Die zweite Säule (Berufliche Vorsorge, BVG) soll zusammen mit der ersten Säule den gewohnten Lebensstandard sichern. Zur Koordination mit der ersten Säule wird in der zweiten Säule nicht der gesamte Lohn versichert. Stattdessen werden mit dem sogenannten Koordinationsabzug diejenigen Lohnteile, die schon in der AHV versichert sind, abgezogen. Der in der zweiten Säule zu versichernde Lohnteil wird deshalb auch koordinierter Lohn genannt. Ursprünglich entsprach der Koordinationsabzug denn auch der Höhe einer maximalen einfachen AHV-Rente. Um tiefere Einkommen zu begünstigen, wurde er ab dem Jahr 2005 auf sieben Achtel der maximalen einfachen AHV Rente reduziert. Bei einer maximalen einfachen AHV-Rente von 29’400 Franken beträgt der Koordinationsabzug derzeit 25’725 Franken. Der SVV schlägt vor, diesen Betrag zu senken. Damit könnten Personen mit kleinem Einkommen und vor allem auch Teilzeitbeschäftige mehr Geld für die berufliche Vorsorge ansparen.
4. Abgeflachte Staffelung der Altersgutschriften
Für den SVV ist es zwingend, dass das Leistungsniveau des BVG bei voller Beitragsdauer erhalten bleibt. Neben der Anpassung des Koordinationsabzugs unterstützt er deshalb die vom Bundesrat vorgeschlagene, abgeflachte Staffelung der Altersgutschriftensätze. Neu soll für Versicherte im Alter von 25 bis 44 Jahren eine Altersgutschrift von 9 Prozent des BVG-pflichtigem Lohn gelten und von 14 Prozent im Alter 45 bis 65 Jahren.
Konkret: Um die Neueinstellung und Weiterbeschäftigung von über 55-jährigen Personen zu fördern, sollen die BVGSparbeiträge, die Arbeitnehmende und Arbeitgebende je hälftig einzahlen, weniger stark als bisher gestaffelt werden. Damit kann erreicht werden, dass ältere Arbeitnehmende weniger «teuer» sind für einen Betrieb. Im Moment betragen die Altersgutschriften für den obligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge 7 Prozent des koordinierten Lohnes für eine 25- bis 34-jährige Person, diejenigen für eine 55- bis 65-jährige Person dagegen 18 Prozent.
5. Sicherstellung des Leistungsniveaus für die Übergangsgeneration
Aus Sicht des SVV müssen auch bei den Arbeitnehmenden, die in den nächsten Jahren pensioniert werden (d.h. bei der sogenannte Übergangsgeneration), die bisher vorgesehenen Leistungen erhalten bleiben. Eine entsprechende «Massnahme für die Übergangsgeneration» muss systemkonform ausgestaltet sein, d.h. auf Einlagen in das Altersguthaben basieren.
Konkret: Die Reduktion des Koordinationsabzuges und die Anpassung der Altersgutschriften führen dazu, dass die Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes über die gesamte Beitragsdauer kompensiert wird. Bei denjenigen Erwerbstätigen, die in den nächsten Jahren pensioniert werden, funktioniert diese Kompensation jedoch nicht. Für diese sogenannte Übergangsgeneration sind deshalb zusätzliche Massnahmen erforderlich, um die bisher versicherten Leistungen ausrichten zu können. National- und Ständerat haben die vom Bundesrat vorgeschlagenen Rentenzuschläge nach dem Giesskannenprinzip, die über die Übergangsgeneration hinaus gewährt würden, und mit denen in der zweiten Säule ein im Umlageverfahren organisiertes, systemfremdes Element eingeführt würde, abgelehnt. Stattdessen haben die Räte je ein eigenes, auf Einlagen in das Altersguthaben basierendes und damit systemkonformes Modell beschlossen. Die Einigung auf ein gemeinsames Modell ist Gegenstand des Differenzbereinigungsverfahrens.